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  • Helmut Scholz

Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 109, 14. Juli 2023

Geschäftsordnung des EU-Parlaments - Wirtschaftspartnerschaft mit Kenia - Renaturierungsgesetz - Seenotrettung

Liebe Leser*innen,

sicherlich fordert die aktuelle Hitzewelle in ganz Europa Ihnen auch einiges ab – und ich kann nur hoffen und wünschen, dass Sie gesund durch diese heißen Tage kommen. Und sicherlich sind Sie in der nun zu Ende gehenden Woche auch schon ins Schwitzen gekommen? Für die Europaabgeordneten jedenfalls ging es kurz vor der Sommerpause noch einmal heiß her. Am vergangenen Montag stellten sie ihre Koffer in Strasbourg ab, um vier Tage lang zahlreiche Tagesordnungspunkte abzuarbeiten.

Viele Entscheidungen zu EUropäischer Gesetzgebung wurden dabei mit breiter Mehrheit getroffen: So sollen sich nach unserer Beschlussfassung Fahrer:innen von Elektroautos schon bald sicher sein, alle 60 km eine leistungsstarke Ladestation vorzufinden, wenn sie auf zentralen Fernverkehrsachsen unterwegs sind. Die Mitgliedstaaten müssen das nun in nationales Recht umsetzen und entsprechende konkrete Schritte einleiten - auch mit Unterstützung durch die EU.

Eine breite Mehrheit fand auch die Forderung, Rumänien und Bulgarien den Weg in den Schengenraum freizumachen. Bürger:innen der beiden Länder könnten dann – so wie Sie und ich – ohne Grenzkontrollen in die meisten EU-Staaten sowie in die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein reisen. Ein seit langem überfälliger Schritt: der Rat als Ko-Gesetzgeber muss jetzt Farbe bekennen.

FlickR/ Ninara

Ein ganz wichtiges Signal sendeten die Abgeordneten zudem in Sachen Seenotrettung im Mittelmeer. Wenige Wochen nachdem bei Pylos hunderte Flüchtlinge vor den Augen der griechischen Küstenwache ertranken, befasste sich das Europaparlament mit der Katastrophe und Wegen, dem Sterben im Mittelmeer ein Ende zu setzen. In einer Entschließung wehrten sich die Abgeordneten gegen die Kriminalisierung der Rettungsarbeit von NGOs und forderten die Einrichtung einer europäischen Seenotrettungsmission. Weiter soll die Kommission auch die Zusammenarbeit mit den libyschen Grenzbehörden überprüfen, denen schwere Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtenden vorgeworfen werden.

Während sich hier gemäßigte Kräfte in den Reihen der Konservativen und Liberalen durchsetzten und die Forderungen der linken, grünen und sozialdemokratischen Fraktionen unterstützten, zimmerte EVP-Chef Manfred Weber bei einer anderen überaus wichtigen Frage seit Wochen an einer Allianz mit den rechtsradikalen Kräften des Hauses. Bei diesem machtpolitischen „Testlauf“ mit Blick schon auf die kommende Legislaturperiode ging es um nichts weniger als den Schutz der Natur. Das Renaturierungsgesetz ist die erste umfassende Naturschutzinitiative der EU seit der 1992 beschlossenen Habitat-Richtlinie. Angesichts der sich zuspitzenden Klimaerwärmung will die EU-Kommission natürliche Lebensräume wie Wälder, Flüsse oder städtischen Grünflächen besser schützen.

Nach monatelangen Tricks und Lügenkampagnen wollte die EVP-Spitze das Vorhaben am Mittwoch zum Kippen bringen. Mit 324 Nein- und 312-Ja-Stimmen ist ihr Ablehnungsantrag  gescheitert – aber wie die Zahlen zeigen, nur sehr knapp. Insgesamt ein wichtiger Erfolg für den Naturschutz – und gegen einen gefährlichen Testlauf für einen Pakt rechts der Mitte. Aber in einzelnen Punkten konnten sich dann die rechten Kräfte gegen die Vernunft anrennen, wobei sie ihnen verschiedene Abgeordnete der liberalen Renew-Fraktion, darunter auch aus der deutschen FDP zu Hilfe kamen. So strichen sie den Vorschlag von Kommission und Umweltausschuss zur Wiederherstellung von Moorflächen, die gerade bei der Bindung von Treibhausgasen eine zentrale Rolle spielen.   

Es lohnt sich allemal, in den ursprünglichen Gesetzesvorschlag, die diese Woche verabschiedete Textfassung und die Abstimmungsergebnisse hineinzuschauen und abzugleichen: die beste Medizin gegen Fake News und eine rechtspopulistische Rolle rückwärts. Und vielleicht auch eine Anregung, sich vor den nächsten Europawahlen genauer auf die Programme und Positionen der einzelnen Parteien in punkto Zukunftsfähigkeit und sozialer Gesichtspunkte des Green Deals zu schauen.

Auch jenseits von Strasbourg gab es in dieser Woche Wichtiges: Der NATO-Gipfel in Vilnius billigte die Aufnahme Schwedens in das transatlantische Militärbündnis. Die Türkei um Staatspräsident Erdogan hatte den Beitritt bis dahin blockiert und eine Zustimmung mit der Auslieferung kurdischer Oppositioneller verknüpft. Die Verschärfung des schwedischen Antiterrorgesetzes und erste Auslieferungen politischer Flüchtlinge machten für Schweden nun den Weg frei in die NATO. Ein betroffen machender Deal.  

Es ist ein Schritt, auf den sich die Ukraine weiter wird gedulden müssen. Die Forderung der Zelensky-Regierung nach einem klaren Beitrittsdatum wurde in Vilnius nicht erfüllt. Zu deutlich die wohl realistischen Zweifel, dass dies unmittelbar eine Eskalationsstufe zu weit in Richtung direkten Kriegseintritts aller NATO-Staaten bedeutet hätte. Die Perspektive der NATO-Mitgliedschaft ist auf die Zeit nach Kriegsende vertagt – die Zusage aber bleibt. Und der neu geschaffene NATO-Ukraine- Rat wird die militärische und sicherheitspolitische Kooperation verstärken und untermauern.

Wobei sich damit auch zunehmend die Frage stellt, welche langfristigen Perspektiven der Westen dem Land in Richtung Beendigung des Krieges neben Waffenlieferungen und militärischer Ausrüstung wirklich bieten will. Während jeder neue Kriegstag neues Leid und Zerstörung bringt, sind bei NATO und aber auch seitens der EU keine Bemühungen zu sehen, einen wirklichen Ausweg aus der Kriegsspirale zu finden. Die Zeichen in Brüssel stehen weiter auf geopolitischer Konkurrenz und Spaltung – und wie beim NATO-Gipfel – auch gegenüber China, wie Sie auch weiter unten lesen können.

Bereits am Montagvormittag geht es aber trotz Hitze mit einer intensiven Ausschuss-Arbeitswoche weiter: In Brüssel tagt der CELAC-Gipfel. Die Staats- und Regierungschefs der EU27 und der lateinamerikanischen Staaten, darunter Mexikos, Brasiliens und der anderen Mercosur-Staaten, Chiles, Venezuelas, der Anden-Staaten, Kubas und auch der zentralamerikanischen Staaten werden über die (fast) bi-kontinentale Zusammenarbeit beraten.

Sowohl im Begleitprogramm, als auch in Alternativveranstaltungen und beim "Gegengipfel der Völker" melden sich dabei auch zahlreiche NGOs, Gewerkschaften, Umwelt- und Menschenrechtsinitiativen zu Wort. Damit soziale und ökologische Alternativen nicht nur Worthülsen in Schlusserklärungen bleiben, müssen althergebrachte Prämissen infrage gestellt werden und die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd grundlegend neu gedacht werden. 

Auf Einladung der „European Trade Justice Coalition“ werde ich mich dazu auf einer breit aufgestellten Konferenz im Europäischen Parlament zur Wort melden. Unter dem Motto „Eine neue Perspektive für die Handelszusammenarbeit zwischen der EU und Lateinamerika“ wurde diese Veranstaltung in langer Hand von powershift e.V. und weiteren NGOs auf die Beine gestellt und vom Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie verschiedenen MdEP unterstützt. 

Was diese Woche in Brüssel weiterhin an Themen bringt, lesen Sie wie immer weiter unten. Bleiben Sie gesund und vielleicht darf ich für einige oder viele von Ihnen schon einmal an dieser Stelle wünschen: Gute Ferien bzw. einen angenehmen und erholsamen Urlaub!

Ihr

Helmut Scholz

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