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Martinas Woche 49_2020: Patentschutz verhindert gerechte Pandemie-Bekämpfung

Jagd nach Impfstoffen – Europäische Bürgerinitiative für gerechte Verteilung – Urheberrecht – Medienpolitik – Strategie – Veranstaltungen

Logo der Europäischen Bürgerinitiative für die Aufhebung des Patentschutzes der Impfstoffe

Großbritannien prescht bei der Impfstoff-Zulassung gegen Covid-19 im Alleingang nach vorn. Doch die Schatten eines erbitterten Standortwettkampf bei der Pandemie-Bekämpfung reichen viel weiter als zwischen Insel und Festland, Brexit und EU. Sie treffen ins Herz internationaler Handelsverträge, die das geistige Eigentum schützen, allerdings alleinig, um Profit zu erwirtschaften und dies auf Kosten des (Über-)Lebens im globalen Süden. Wir haben daher in dieser Woche einmal den internationalen Streit um die Verteilung der Impfstoffe beleuchtet und hoffen, dass hier internationale Organisationen politisch aufstehen, um eine globale Gerechtigkeit einzufordern und fordern die EU auf, ihre Blockadehaltung gegenüber dem globalen Süden aufzugeben. Ihr könnt euch im Rahmen einer Europäischen Bürgerinitiative beteiligen.

Der Arbeitsalltag ist weiterhin mit vielen Sitzungen, die sich dem noch ausstehenden Abschluss des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021–2027 und den damit verbundenen Europäischen Corona-Hilfen widmen, vollgestopft, doch wir gehen in diesem Wochenrückblick auf neue Beiträge zur Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie ein, schauen verblüfft auf Deutschlands Kapriolen in der Medienpolitik und berichten über linke Strategien für das Superwahljahr 2021. Außerdem geben wir Tipps zu Veranstaltungen in der kommenden Woche.

 

Eine kurze und unvollständige Geschichte des Corona-Imperialismus und was er mit dem Urheberrecht zu hat

Martina neben einer Skulptur im Europaparlament.

London ist bei der Impfstoffzulassung gegen Covid-19 um einiges schneller als bei Brexit-Verträgen. In einer Notfallzulassung hat sich die Insel den Impfstoff von Biontech und Pfizer für ihre besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen liefern lassen. Begonnen wird mit 800.000 Impfdosen, was somit auch nicht mehr als ein Prozent der Bevölkerung mit dem Impfschutz für Risikogruppen seit Anfang Dezember betrifft. Einige behaupten, die EU hätte hier einmal von London lernen sollen, andere, wie Tom Peck vom Independent, finden diese Vorgehensweise falsch und zitieren den britischen Gesundheitsminister Hancock, der als einstiger Brexitgegner selbigen nun begrüßt und den Brexit jetzt als Lieferanten eines Impfstoffs aus Deutschland, der von türkischen Einwanderern entwickelt wurde, feiert. Und dies alles, obwohl bis zum 31. Dezember Großbritannien noch Mitglied der EU ist, wenn auch in einer Übergangsphase.

Doch sind damit alle Probleme der aktuellen Pandemiebekämpfung durch einen wirksamen Impfstoff schon beschrieben?

Nein. Die realen Problemlagen sind völlig andere. Bis Ende 2021 können die drei schnellsten Firmen 5,3 Milliarden Impfdosen herstellen, was für ein Drittel der Weltbevölkerung reichen wird. Dies sind noch keine 70 Prozent, doch gefährdete Gruppen wären damit gut zu erreichen, medizinisches Personal ebenfalls. El Pais aus Spanien hält dann aber fest: „Die Europäische Union und fünf weitere Länder haben wie erwartet bereits die Hälfte der Medikamente reserviert, obwohl sie nur 13 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen … Dabei fordert die Pandemie per Definition eine Immunisierung des gesamten Planeten. Wir machen mal wieder alles falsch.“ Die Schieflage bei der weltweiten Pandemie-Bekämpfung lässt sich kaum plastischer auf den Punkt bringen. Amilcar Correia vom portugistischen Publico schaut noch ein Stück weiter hinter die Kulissen. Eine Zulassung eines neuen Malaria-Impfstoffs, auch von Pfizer, steht aus und offenbar in den Sternen, weil Covid-19 zuerst geprüft wurde. Daher steht jetzt schon fest, dass 2021 wieder mehr Menschen an Malaria sterben werden und wir wissen ziemlich genau, dass dies kaum die Nordhalbkugel betrifft.

Indien und Südafrika sind von Covid-19 besonders betroffen und haben schon die Forderung erhoben, den Patentschutz während der Pandemie auszusetzen. Doch hier fürchten viele eine Klagewelle der großen Hersteller. Dabei wäre, wie Alexander Göbel aus Brüssel für die Tagesschau berichtet „(d)urch den so genannten ‚TRIPS waiver‘ … es grundsätzlich möglich, Impfstoffe dezentral und an vielen verschiedenen Orten über die Welt verteilt herzustellen. Diese Idee werde von der WHO unterstützt, aber von Industriestaaten blockiert – auch von der EU, beklagt die Grünen-Abgeordnete Paulus. Letztlich ist am Ende des Tages jedoch ein halber Schutz kein Schutz vor der grassierenden Pandemie, ohne Solidarität und eine politische Aufhebung patentrechlicher Regelungen zum Schutz aller auf unserer Erde werden wir sie nicht in den Griff bekommen. Am 30. November 2020 startete eine Europäische Bürgerinitiative, in der von vielen Initiativen, Gewerkschaften, Ärzt*innen gefordert wird, die Patente für die Covid-19-Impfstoffe aufzuheben. Der Europa-blog macht darauf aufmerksam. Dort erfahrt Ihr mehr und könnt Eure Stimme für eine solidarische Pandemie-Bekämpfung einbringen.

 

Urheberrechts-Blog mit vielen neuen Beiträgen

Was macht eigentlich die Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie? Deutschland wollte ja die Uploadfilter laut Protokollnotiz 2019 nicht durchsetzen. Letztlich hieß es dann „April, April!“, denn obwohl dies großspurig versprochen wurde, wurden die ersten Stimmen laut, dass eine Lösung ohne Uploadfilter nicht EU-konform sei. Nun gibt es einen Mittelweg, der u. a. in mehreren Beiträgen von Petra Sitte und Simon Weiß und, ländervergleichend, aktuell von Paul Keller von Communia auf unserem Blog diskutiert wird. Noch sind sechs Monate Zeit, aber die Quadratur des Kreises scheint noch immer nicht zu gelingen und überdies hat Polen gegen Teile des Uploadfilter-Paragraphen 17 geklagt und die Entscheidung wird wohl erst kurz vor der Umsetzungsfrist der Richtlinie gefällt werden… Was dies nun in einzelnen Mitgliedsstaaten heißt, könnt ihr auf unserem Urheberrechtssetzung-Blog nachlesen.

 

Ein Blick in Deutschlands medienpolitische Kapriolen

Drache am Strand

Noch gibt es einen öffentlich-rechlichen Rundfunk in Deutschland. Wir sind da nicht in Berlusconi-Land und haben noch nicht beinahe alle Medien einer unüberschaubaren Medienkonzentration in private Hände übergeben. Andererseits kämpfen auch in Deutschland inmitten der Konvergenz von traditionellen analogen und moderneren digitalen Medien viele gegen eine Informationsflut in den sozialen Netzwerken, die nicht annähernd der redaktionellen Sorgfalt unterliegen wie öffentliche, aber auch viele private TV-Sender beispielsweise. Während die Plattformen eigentlich ein Marketinginstrument waren und sind und viele Nutzerdaten – auch ungefragt – verwenden, ist die Funktionsweise der Sendeanstalten davon doch gänzlich verschieden. Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste sollte hierbei eine Regelungs-Angleichung ermöglichen und damit eine gewisse Gleichstellung von Fernsehen mit modernen Videosharingplattformen. In der Richtlinie, die nach etlichen Jahren endlich überarbeitet wurde, sollten Werbezeiten, das Auffinden europäischer Werke, der Umgang mit jugendgefährdenden Inhalten und Hassreden für alle sendeähnlichen Anbieter neu und ähnlich geregelt werden. Und es war auch eine europäische unabhängige Medienaufsicht, die ERGA, vereinbart, die, über die Umsetzung hinaus, die europäische Medienlandschaft evaluieren sollte. Nun hat der Bundesrat in seiner Sitzung am 27. November 2020 im Rahmen des Digitalen Service Acts eine Europäische Medienaufsicht abgelehnt. Das halten wir eigentlich für einigermaßen gewagt, hinsichtlich der Umsetzungsanforderungen der audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie. Niemand will Inhalte überwachen, wie in dem Beschluss behauptet wird, und wir werden hier den Gang der Dinge verfolgen, denn wir können uns gut erinnern, dass Deutschland ohnehin einige Probleme hatte, die politikferne ERGA anzuerkennen, weil sie weit entfernt ist von den Deutschen Rundfunkräten.

Medienpolitisch gehen auch Innenminister bisweilen seltsamen Wege in deutschen Landtagen. Inzwischen ist einer davon, namens Stahlknecht, in Sachsen-Anhalt zur CDU gehörend, zurückgetreten. Doch es lohnt nochmals seine Machtprobe zu erzählen, denn sie hatte mit Medienpolitik so viel zu tun, wie Pik As mit Aspik, obwohl sie sich an 86 Cent mehr pro Monat für Rundfunkbeiträge, von denen auch soziale Befreiungen möglich sind, entzündete. netzpolitik.org hat die üble Geschichte noch einmal nacherzählt, die real die Geschichte eines weiteren Dammbruchs gewesen wäre, bei dem sich die CDU des Ex-Ministers Stahlknecht mit der AfD gemeinsam gegen öffentlich-rechtliche Medien stellen wollte und doch letztlich ganz ohne Umschweife über Flüchtlinge und das von den Rechtspopulisten so verhasste Gendern in der politischen Sprache ausließ. Dieser Dammbruch ist kein deutsches Problem allein, schaut man zum Beispiel auch kurz zum Kanzler Kurz nach Österreich.

 

DIE LINKE geht ins Superwahljahr 2021

FVK online

Verschneite Landschaft, Weihnachtszeit, die Elgersburg mitten im winterlichen Thüringer Wald. An diesem Tagungsort treffen sich traditionell Anfang Dezember die Fraktions- und Parteivorsitzenden unserer Partei DIE LINKE, um über aktuelle Ereignisse und das kommende Jahr zu sprechen. Doch die Corona-Pandemie und die steigenden Infektionszahlen trotz „Teil-Lockdowns“ haben dieses persönliche Treffen auf der Fraktionsvorsitzendenkonferenz (FVK) dieses Jahr unmöglich gemacht. Stattdessen sprachen die linken Vorsitzenden aus den Landtagen, dem Bundestag und dem Europaparlament letzten Freitag in einer Videokonferenz über die Aufgaben und strategischen Herausforderungen für 2021. Martina war aus ihrem Berliner Home-Office zugeschaltet.

Auf Einladung der FVK stellten u.a. Prof. Dr. Klaus Dörre von der Uni Jena und Dr. Horst Kahrs aus der Rosa-Luxemburg-Stiftung ihre Analysen vor. In ihren Beiträgen gingen sie auf die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ein, die DIE LINKE für ihre zukünftige strategische Ausrichtung beachten sollte. Klaus Dörre geht davon aus, dass eine neuartige, von ihm als ökonomisch-ökologische „Zangenkrise“ beschriebene Entwicklung voranschreite, die im Moment von der Coronakrise überlagert werde. Die fortschreitende Klimakatastrophe macht ein „Weiter so“ unmöglich, die Wachstumsideologie kommt an ihre Grenzen. Der Umbau zu nachhaltigerem Wirtschaften ist in vollem Gange. Doch diese ökologische Nachhaltigkeit gehe derzeit auf Kosten der sozialen Nachhaltigkeit, wodurch sich die Ungleichheiten zwischen Arm und Reich weiter verstärkten. Diese Krise könne nur durch eine Nachhaltigkeitsrevolution überwunden werden, die nicht nur Umwelt-, sondern auch soziale Ziele verfolgen müsse. Denn wir werden den nötigen Umbau nicht schaffen, wenn nur wirtschaftlich schwächere Schichten und Gruppen die Kosten dafür schultern müssen. Deshalb gilt für DIE LINKE: soziale und ökologische Nachhaltigkeit gibt es nur zusammen.

Horst Kahrs erläuterte in seinem Vortrag die Möglichkeiten und Chancen für DIE LINKE im „Superwahljahr“ 2021. Die Corona-Pandemie werde die Wahlkämpfer*innen der Partei vor große Herausforderungen stellen, denn gewohnte Veranstaltungen werden nicht so einfach durchzuführen sein. Generell wäre DIE LINKE gut beraten, sich verstärkt auch um Arbeitnehmer*innen in den Bereichen der Produktion und geringer qualifizierten Dienstleistungen zu kümmern. Denn linke Politik würde gerade diesen Gruppen zugutekommen. Leider spreche DIE LINKE diese Wähler*innen bisher jedoch nicht genug an. Parteien zeichnen sich dadurch aus, dass sie verschiedene gesellschaftliche Konfliktlinien so aufgreifen, dass sich ihre Wähler*innen dadurch vertreten fühlen. Für DIE LINKE stehe dabei das Konzept des „nachhaltigen Wohlfahrtsstaates“ an zentraler Stelle.

Im Anschluss diskutierten die Teilnehmer*innen der FVK noch über die jeweiligen Ausgangslagen im Bund und den Ländern, in denen im kommenden Jahr neue Landesparlamente gewählt werden, wie zum Beispiel in Berlin. Für das Wahljahr 2021 bleibt noch einiges zu tun. Doch der Corona-Pandemie zum Trotz wird DIE LINKE mit vollem Engagement um ihre Wähler*innen kämpfen und für ihre Politik werben. Dafür wird sie auch neue Wege gehen müssen.

 

Drei Veranstaltungs-Tipps für die kommenden Woche

Pictogramm der Berliner Senatsverwaltung

7.12.2020, 10–12 Uhr
Zukunftsorte

Gleich am Montag wird Martina bei „Zukunftsorte“ diskutieren zu Europäischer Förderpolitik. Um 10 Uhr geht es los. Die Anmeldung hatten wir schon in der vergangenen Woche angekündigt, denn sie war bis zum 3.12.2020 geöffnet.

 

 

 

9.12.2020, 20–22 Uhr

Frieden in Bergkarabach? Hintergründe des Konflikts und der aktuellen Lage

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung lädt ein.

 

10.12.2020, 18–19.30 Uhr

Bilanz der Deutschen Ratspräsidentschaft mit Martin Schirdewan und Martina Michels,

moderiert von Jürgen Klute

Link folgt.

 

Unsere Abgeordneten

Aktuelle Link-Tipps

  • Begleitung der Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie
  • EU-Fördermittel
Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)